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Geschrieben am 1.4.2023

Basteln von Flugzeugen in einem Kinderhort.

Kinderbetreuung in der Schweiz – eine «Mission Impossible»?

Wenn beide Elternteile arbeiten, ist eine flexible Kinderbetreuung gefragt. Der Status quo für solche Betreuungsplätze ist in der Schweiz mancherorts frustrierend schlecht. Für Private, die selber Betreuungsangebote schaffen wollen, sind die Hürden hoch. Obwohl der Bund Besserung gelobt, brauchen Eltern weiterhin viel Flexibilität und Geduld.


Text: Dennis Kristen, Captain A220


Wir alle sind es gewohnt, auf etwas zu warten. Als Heranwachsende warten wir aufs Erwachsenwerden, als Patientinnen und Patienten warten wir auf die Sprechstunde, und viele Pilotinnen oder Piloten warten auf die lang ersehnte Typenumschulung. Warten braucht Geduld. Oft entsteht dabei Vorfreude auf das, was kommen wird. Steht man allerdings fünf Minuten vor Schliessung in einer langen Schlange und ist noch meterweit vom Schalter entfernt, so kann dabei auch Frust oder Verzweiflung aufkommen.

Beim Warten auf einen Betreuungsplatz für unsere Tochter war Letzteres der Fall. Doch in den letzten Jahren habe ich die Perspektive gewechselt: vom verzweifelten Elternteil zum überforderten Kinderhort-Gründer. Ich durfte erfahren, wie kompliziert die Schaffung und Erhaltung der heiss begehrten Plätze für unsere Kleinen sein kann. In diesem Artikel versuche ich, Elternerfahrungen und politische Hintergründe zu beschreiben, ohne dass junge Eltern beim Lesen in Panik geraten. Eine wahre Herausforderung!

Aus der Not heraus eine eigene Kita gegründet

Der Reihe nach! Noch vor drei Jahren war ich meilenweit von dem Thema entfernt. Doch als unsere Tochter 2020 vor der Einschulung stand und meine Frau und ich versuchten, einen Kinderhortplatz für die Kleine zu finden, standen wir vor einer «Mission Impossible»:

«School starts in three months. Your family is number 16 on the waiting list for after school care. Your mission – should you choose to accept it – is to find a spot for your daughter for Tuesday and Thursday afternoon. Good luck! This message will destroy itself in five seconds.» (Zitat aus Erinnerungen, der genaue Wortlaut des Schreibens mag etwas anders gewesen sein.)

Aus Vorfreude auf die Einschulung des Kindes wurde schnell Verzweiflung über die Betreuungsplatzsituation. Glücklicherweise waren wir nicht die einzigen Eltern in unserer Wohngemeinde mit diesem Problem. Auch die Gemeindeverwaltung war sich der Situation bewusst und suchte nach Lösungen. Dort mangelte es aber leider an Personal und an dem letzten Willen, schnell etwas an der Situation zu ändern. Aus einer Elterninitiative heraus wurde ein gemeinnütziger Verein gegründet. In unzähligen Stunden entwickelten wir Eltern in Abstimmung mit einem Vertreter der Gemeinde ein Konzept, das die Schaffung von 48 Betreuungsplätzen vorsah und dem Gemeinderat vorgestellt werden
konnte. Als First Officer 330/340 hatte ich in den Jahren 2020/21 Corona-bedingt genügend Zeit dafür. Die Blaupause für unser Projekt hatten wir von Eltern einer benachbarten Gemeinde, die zwei Jahre zuvor ähnlich vorgegangen waren. Unser Finanzierungskonzept stützte sich vor allem auf ein Startkapital der Gemeindeverwaltung Echichens und auf eine Anstossfinanzierung des Bundes. Die Mehrheit des Gemeinderats stimmte für unser Projekt, womit eine Seite der Finanzierung gesichert war. Die Beantragung der Bundes-fördermittel gestaltete sich allerdings etwas komplexer. Diese konnten erst zu einem späteren Zeitpunkt zugesagt werden, und so musste sich unser Verein in der Anfangszeit ohne die geplanten Bundesfinanzhilfen durchschlagen. Dennoch gelang die Eröffnung, und die UAPE (unité d’accueil pour les écoliers) «Les Pand'Amis Echichens» betreut seit Sommer 2021 Schulkinder vor, während und nach der Schulzeit. Der Vorstand des Trägervereins, bestehend aus drei Eltern, einer pädagogischen Expertin und einem Gemeindevertreter, führt seither ehrenamtlich die Geschicke der Struktur. Und Arbeit gibt es mehr als genug, obwohl oder gerade, weil der Verein mittlerweile acht Angestellte hat.

Antiquierte Gesellschaftsbilder und ein Mangel an Plätzen

Während des Projekts sahen wir uns das eine oder andere Mal mit Meinungen aus der «Steinzeit» konfrontiert: Einigen Mitbürgerinnen und Mitbürgern fiel es schwer, zu verstehen, wozu es eine ausserschulische Betreuung braucht, wenn sich die Frau doch zu Hause um die Kinder kümmern könne. Ich habe in den letzten Jahren auch mit vielen Eltern gesprochen, und die Geschichten, die ich gehört habe, sind schockierend. Sie reichen von Elternteilen, die für die Nachmittagsbetreuung ihren Job kündigten, über Grosseltern, die mehrmals wöchentlich zu ihren Enkelkindern pendelten, bis hin zu einem Verzicht auf einen Umzug. Alles aus Mangel an passender Kinderbetreuung. Wie kann es sein, dass Eltern in den 2020er Jahren solche Schwierigkeiten haben, einen Betreuungsplatz zu finden?

Das Schweizer System will es, dass Kantone die Deckung an Kinderhort-Plätzen sicherstellen, wobei die Gemeinden für Nachmittagsbetreuung zuständig sind. Eine Mischung aus privaten und gemeinnützigen Trägern sichert die Betreuungsstruktur. Der Bund hat erkannt, dass trotz allem ein Handlungsbedarf bei der Kinderbetreuung besteht, und er kann gestützt auf Art. 116 Absatz 1 der Bundesverfassung Massnahmen Dritter zur Förderung der Familie unterstützen. Unter anderem tut er dies seit 2003 durch eine Anstossfinanzierung für die Schaffung von Betreuungsplätzen.

Dennoch vermag das bestehende Angebot an familien-ergänzenden Betreuungsplätzen die aktuelle Nachfrage nach wie vor nicht zu decken. «Rund 20 Prozent der Kinder
im Vorschulalter sowie 18 Prozent der Kinder im Schul-alter können trotz Bedarf der Eltern nicht im gewünschten Umfang betreut werden.» Verschiedene Studien zeigen dabei grosse regionale Unterschiede.

Wenig staatliche Unterstützung und hohes finanzielles Risiko

Man sollte meinen, die Situation sei ideal für private Träger, die diese Lücken gewinnbringend schliessen könnten. Doch leider ist dies kaum möglich. Wenn selbst gemeinnützige Anbieter, denen Räumlichkeiten kostenfrei zur Verfügung gestellt werden, etwa 110 Franken pro Tag und Schulkind für eine schulergänzende Tagesbetreuung verlangen müssten, um kostendeckend zu wirtschaften, wären die Preise bei privaten Trägern ohne Unterstützung für die meisten Eltern kaum bezahlbar.

Ich habe mit Morena Inäbnit gesprochen. Sie ist die Gründerin der privaten Gruppe «Strampolino» mit Kindertagesstätten (Kita) an mittlerweile sechs Standorten. Das Projekt entstand ursprünglich aus dem Antrieb heraus, ein pädagogisches Kita-Konzept rund um das Thema «Bewegung» umzusetzen. Inzwischen hat sich der Betrieb auf ein flexibles Betreuungsmodel spezialisiert. Nachdem sie vor einigen Jahren auf die SWISS-Geschäftsleitung zugegangen war und den Bedarf für ein solch flexibles Konzept bei den Mitarbeitenden aufgezeigt hatte, wurde die Kita in Kloten mit einem Anstossdarlehen seitens der SWISS eröffnet. Für Mitarbeitende übernimmt die SWISS seither einen Teil der Betreuungskosten. Ein ähnliches Modell gibt es bei «Strampolino» auch für Spital-Mitarbeitende in Bern und am Zollikerberg.

Morena Inäbnit berichtete von den Schwierigkeiten, mit denen private Träger zu kämpfen haben. So gingen private Anbieter mit der Trägerschaft für eine Kita ein hohes finanzielles Risiko ein. Im Gegensatz zu vielen gemeinnützigen können private Träger nicht auf eine Ausgleichsgarantie bei defizitärer Jahresrechnung zählen. Sie sind bei gleich hohen Qualitätsansprüchen auf einen finanziell zumindest ausgeglichenen Betrieb angewiesen. Und die Unterstützung von staatlichen Stellen sei gering. So gab es beispielsweise keine finanzielle Unterstützung, als der Bedarf durch die Zunahme von Kurzarbeit und Homeoffice im Jahr 2020 eingebrochen sei. Auch nehme Inäbnit politische Bemühungen wahr, die dahin gehen, die Eltern finanziell zu entlasten, und sie äusserte Bedenken, dass diese im Endeffekt zulasten der Träger gehen könnten. Zwar können auch private Träger eine Anstossfinanzierung des Bundes beantragen, doch der Prozess sei auch hier langwierig und mit einem hohen administrativen Aufwand verbunden.

Der Bund sieht Handlungsbedarf und verspricht Besserung

Das Impulsprogramm des Bundes für die Unterstützung von Betreuungseinrichtungen, die unter anderem die Anstossfinanzierung für die Schaffung neuer Betreuungsplätze zugrunde liegt, stand Ende 2022 vor dem Auslaufen. Es wurde aber kürzlich bis zum 31. Dezember 2024 verlängert. Anschliessend soll eine permanente Bundesmassnahme das temporäre Programm ablösen. Was können wir ab 2025 erwarten? Das BSV (Bundesamt für Sozialversicherungen) antwortet darauf wie folgt: «Die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrats hat der parlamentarischen Initiative 21.403 ‹Überführung der Anstossfinanzierung› in eine zeitgemässe Lösung Folge gegeben. Damit will sie neue und dauerhafte Instrumente zur Förderung der familienergänzenden Kinderbetreuung durch den Bund implementieren. Die Kommission hat ihre Vorlage zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative aufgrund der Vernehmlassung angepasst. So sollen die Eltern mit 20 Prozent der durchschnittlichen Kosten eines familien-ergänzenden Betreuungsplatzes entlastet werden. Zusätzlich sollen die Angebotslücken in der familienergänzenden Kinderbetreuung geschlossen, das Betreuungsangebot besser auf die Bedürfnisse der Eltern abgestimmt und die Qualität der Angebote verbessert werden, indem der Bund den Kantonen globale Finanzhilfen auf der Grundlage von Programmvereinbarungen gewähren kann. Die parlamentarische Initiative wurde noch nicht im Rat behandelt und könnte frühestens 2025 in Kraft treten.»

So ambitioniert das Vorhaben scheint, wenn man die Komplexität des Themas bedenkt, so dringend notwendig ist es! Doch denkt die Kommission auch an Einrichtungen, die – wie «Strampolino» – ein flexibles Betreuungsmodell anbieten? Das BSV hat den Bedarf erkannt und räumt ein, dass die Vereinbarkeit viele berufstätige Eltern nach wie vor vor grosse Herausforderungen stelle. Deshalb leiste der Bund im Rahmen des KBFHG (Bundesgesetz über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung) seit dem 1. Juli 2018 einen Beitrag an die Planungskosten von Projekten, die das Betreuungsangebot besser auf die Bedürfnisse der Eltern abstimmten. So zum Beispiel Projekte, die das Betreuungsangebot ausserhalb der üblichen Öffnungszeiten massgeblich verbesserten.

Die Frage wird sein, wie die neuen Förderungsinstrumente greifen werden und wie die lokalen Stellen diese integrieren werden. In meiner Heimat, dem Grossraum Morges im Kanton Waadt, wird von ausserschulischen Betreuungsstätten verlangt, dass angebotene Plätze zu 90 Prozent oder mehr besetzt werden. Nur so bekommen gemeinnützige Institutionen eine finanzielle Unterstützung, die sie dann durch das Tarifsystem indirekt an die Eltern weitergeben, und die Garantie einer Defizitübernahme. In der Praxis kann dieser Schlüssel allerdings nur eingehalten werden, wenn die Strukturen ihr Angebot verknappen und mit einer Warteliste arbeiten. Einige Eltern bekommen so nicht den gewünschten Platz für ihr Kind. Um eine funktionierende, zeitgemässe Betreuungsstruktur aufzubauen, muss hier dringend ein Umdenken stattfinden!

Unternehmen mit Betreuungsangebot sind attraktiv

Doch ist es nur der Staat, der umdenken muss? Es stellt sich die Frage, welche Verantwortung die Betriebe haben und ob es sich nicht lohnen würde, die Kinderbetreuung zum Betriebsthema zu machen, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein – vor allem in Zeiten, in denen in vielen Branchen Personalmangel herrscht. Ein garantierter Betreuungsplatz für Mitarbeitende wäre ein echtes Plus bei der Personalbeschaffung. Das bedingt natürlich eine Investition. Leider wird niemand genau errechnen können, ob und in welchem Masse sich diese Investition lohnt, da ein Teil des Returns wahrscheinlich auch motiviertere, loyalere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wäre. Wahrscheinlich ist aber schon eine Betriebskultur, die das Thema ernst nimmt und Unterstützung bei der Betreuungsplatzsuche anbietet, ein Plus für das Unternehmen.

Eine Internetrecherche zu existierenden Betriebskindergärten in der Schweiz brachte nur ein dürftiges Ergebnis. Einen im Betrieb integrierten Kindergarten ausschliesslich für Mitarbeitende scheint es kaum zu geben. Hingegen gibt es durchaus Unternehmen, die selbst die Initiative ergriffen haben. Die ABB hat beispielsweise zusammen mit anderen Unternehmen und Institutionen den Verein «ABB Kinderkrippen» gegründet, der mehrere Betreuungsstrukturen unterhält.

Alle Beteiligten sind zum Umdenken gefordert

Und wir Eltern? Müssen wir uns gedulden, bis sich an der nicht zufriedenstellenden Situation etwas ändert? Nun ja, von nichts kommt nichts! Wer erwartet, dass einem der perfekte Betreuungsplatz zufliegt, wird in den meisten Fällen wohl leider enttäuscht werden. Wenn ein wirkliches Anliegen der Eltern vorliegt, müssen diese sich auch engagieren und das Thema pushen; bei den Gemeinden, bei den Betrieben und überall, wo Handlungsbedarf offensichtlich wird!

Das Thema Kinderbetreuung ist komplex. Der Status quo in der Schweiz ist für viele berufstätige Eltern frustrierend. Für eine zeitgemässe Betreuungsstruktur muss auf vielen Ebenen ein Umdenken stattfinden. Der Bund, die Kantone und die Gemeinden werden weiteres Geld in die Hand nehmen müssen, um die Situation nachhaltig zu verbessern, und auch Betriebe sollten das Thema auf den Tisch bringen. Leider wird das alles nicht von alleine passieren, sondern in vielen Fällen Druck von den Betroffenen brauchen: den Eltern. Doch gehört das Lösen von Problemen nicht zum Elternsein so wie das Auskurieren von Jetlag zum Langstrecken-Fliegen? In Panik sollten wir jedenfalls nicht ausbrechen. In diesem Sinne: Viel Erfolg!