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Geschrieben am 1.4.2023

Mit Mach 2,2 will Boom kommerzielle Überschallflüge wiederbeleben.

Schneller, höher, weiter und auch grüner?

Der kommerzielle Überschallflug ist seit dem Ende der Concorde vor 20 Jahren Geschichte. Die Faszination des Flugs jenseits der Schallmauer bleibt seither bestehen. Die Aviatik ist wie kaum eine andere Branche im medialen Fokus, was Nachhaltigkeit und ökologische Verantwortung angeht. Überschallflug und Nachhaltigkeit erfordern einen Spagat.


Text: Dominik Haug


In den 1940er Jahren ist es den Menschen gelungen, sich erst der Schallmauer anzunähern und sie schliesslich zu durchbrechen. Im Jahr 1941 erreichte der deutsche Pilot Heini Dittmar in einer Messerschmitt Me-163 als erster Pilot mit einer Geschwindigkeit von 1004 Stundenkilometern den Grenzbereich zum Überschallflug. Im «Spiegel» wurde Dittmar im Jahr 2001 wie folgt zitiert: «Diese so genannten Mach-Erscheinungen, die ich als erster Pilot erlebte, waren das erste Anklopfen an die Schallmauer.» Zwei Jahre später wurden in Grossbritannien die von Jagdfliegern in Extremsituationen gespürten Kräfte mit Propellerflugzeugen erforscht. In Sturzflügen wurde aus einer Höhe von zwölf Kilometern eine Machzahl von 0,9 erreicht. Es war aber klar, dass höhere Geschwindigkeiten nicht erreichbar wären, da der Propeller bei diesen Geschwindigkeiten mehr Widerstand als Vortriebskraft erzeugte. Unabhängig davon wären Motorleistungen erforderlich, die mit Kolbenmotoren nicht realisierbar sind. Wieder zwei Jahre später will der deutsche Jagdflieger Hans Guido Mutke im April als erster Pilot mit einer Messerschmitt 262 die Schallmauer durchbrochen haben. Allerdings fehlt für die Behauptung jeder Beweis. Auch Wolfgang Czaia, der deutsche Testpilot des Me262-Nachbauprojekts, hält diese Behauptung für nicht realistisch. Er hat als Testpilot beide in den USA nachgebauten Me262 geflogen und kennt daher deren Daten und Parameter sehr genau. Piloten der ersten Düsenflugzeuge stellten fest, dass mit der damaligen Technologie ein Durchbrechen der Schallmauer wenig wahrscheinlich war. Bei Geschwindigkeiten über Mach 0,95 traten schwere mechanische Belastungen auf und die Steuerungswirkung ging verloren. In Einzelfällen stürzten die Maschinen dadurch ab oder brachen auseinander. Am 1. Oktober 1947 durchbrach George Welch mit einem Prototyp der North American F86 Sabre im Sturzflug die Schallmauer. Da der Geschwindigkeitsmesser aber nicht auf die entsprechende Höhe kalibriert worden war und auch keine Geschwindigkeitsmessung vom Boden aus stattgefunden hatte, wurde der Flug offiziell nicht gewertet. Rund zwei Wochen später, am 14. Oktober 1947, durchbrach der amerikanische Testpilot Chuck Yeager in etwa 15 000 Metern Höhe nachweislich die Schallmauer. Er hatte bei den vorhergehenden Flugversuchen mit den Stosswellen und einer daraus resultierenden Verringerung der Wirksamkeit des Höhenruders zu kämpfen. Erst die Idee, die gesamte Höhenflosse mit Elektromotoren, anstatt mit Muskelkraft zu bewegen, ermöglichte diesen Erfolg. Der Rumpf des Raketenflugzeugs hatte noch die Form eines massstäblich vergrösserten Gewehrgeschosses, was bei Flugzeugen aerodynamisch ungünstig ist. Ein regulärer Überschallflug wurde erst möglich, nachdem Flugzeuge mit gepfeilten Tragflächen konstruiert worden waren.

Ziviler Überschallflug
Das erste zivile Überschallflugzeug war die sowjetische Tupolew 144. Sie erreichte als erstes Verkehrsflugzeug am 26. Mai 1970 doppelte Schallgeschwindigkeit. Sie war jedoch mehr ein politischer und technischer als ein wirtschaftlicher Erfolg. Drei Jahre später stürzte die dritte je gebaute Tu144S bei der Flugschau in Le Bourget bei Paris ab. Wegen der hohen Kosten im Flugbetrieb wurde die Tu144 im Jahre 1978 wieder ausser Dienst gestellt.
Die zur fast gleichen Zeit entwickelte britisch-französische Concorde stand im Gegensatz dazu von 1976 bis 2003 erfolgreich im Liniendienst mit über Mach 2. Im Juli 2000 stürzte eine Concorde auf dem Air France-Flug 4590 infolge einer durch einen Fremdkörper auf der Startbahn ausgelösten Brand kurz nach dem Start bei Paris ab. 113 Menschen kamen bei dem Unglück ums Leben. Air France und British Airways stellten daraufhin den Flugbetrieb der Concorde vorübergehend ein und besserten die Kerosintanks in den Flügeln nach. 2001 entschieden Frankreich und England nach einer kurzen Wiederaufnahme der Flüge, die Concorde insgesamt ausser Dienst zu stellen. Die wichtigen Flugrouten in die USA hatten wegen dortiger Widerstände seit langem ein Defizit. Am 26. November 2003 fand der letzte Flug einer Concorde statt.
Eine Vielzahl von teilweise mehr oder weniger realistischen Plänen, die zivile Überschallfliegerei wiederzubeleben, hat es immer wieder gegeben. Im Juni 2005 unterzeichneten Frankreich und Japan anlässlich der Flugmesse in Le Bourget ein Abkommen, demzufolge beide Staaten künftig jährlich 1,5 Millionen Euro an Forschungsmitteln zur Entwicklung eines gemeinsamen zivilen Überschallflugzeugs bereitstellen werden. Es war geplant, bis 2015 ein gemeinsames Überschallflugzeug in den Dienst zu stellen. Bis heute wurde kein flugfähiger Prototyp gebaut. Die European Space Agency (ESA) koordiniert das Projekt Long-term Advanced Propulsion Concepts and Technologies, in dessen Rahmen ein europäisches Überschallflugzeug entworfen werden soll.

Boom Supersonic
Die amerikanische Firma Boom Supersonic hat 2017 auf der Pariser Luftfahrtmesse von Le Bourget angekündigt, bis 2023 ein kommerzielles Überschall-Passagierflugzeug herzustellen. Das Flugzeug soll Mach 2,2 erreichen können und Platz für 55 Passagiere bieten. Ende 2018 sollte der Jungfernflug der kleineren Testversion Boom XB-1, genannt «Baby Boom», stattfinden. Im Gegensatz zu anderen Projekten arbeitet die Firma mit nicht rückzahlbaren Anzahlungen von fünf grossen Airlines, darunter Virgin Atlantic Airways als Erstkunde. Vor einigen Wochen hat eine Nachricht zumindest in der Aviatik-Branche die Runde gemacht, die nicht ignoriert werden kann. American Airlines hat als flottenstärkste Airline der Welt 20 Exemplare des geplanten Überschalljets von Boom Supersonic bestellt. Bereits im Jahr 2021 hatte United Airlines Interesse mit einer Kaufabsicht an 15 solcher Flugzeuge bekundet.

Obwohl Boom davon ausgeht, dass das seit der Concorde bestehende Verbot für Überschallflüge über Land vorerst bestehen bleibt, bezeichnet die Firma 500 mögliche Routen für Flüge mit doppelter Schallgeschwindigkeit über Wasser. Von London nach New York etwas mehr als drei anstatt sieben Stunden, von San Francisco nach Tokio in der halben Flugzeit oder von Los Angeles nach Sydney in knapp sieben anstatt 15 Stunden. Die langen Transpazifikstrecken erfordern einen Tankstopp. Ohne Auftanken ist die Reichweite mit 8300 Kilometern gerade etwas zu kurz für die Strecke von Kalifornien nach Japan.

Gründer und Chef von Boom, Blake Scholl, legt doch Wert darauf, Boom von der Concorde abzugrenzen. «Wir werden viel mehr Mainstream sein als die Concorde. Als kleineres Flugzeug wird der Boom-Jet wirtschaftlicher, die Ticketpreise werden auf Businessclass-Niveau bei etwa 5000 Dollar für den Hin- und Rückflug über den Atlantik liegen, und sie werden sinken, je mehr Maschinen fliegen», sagte Boom in der «NZZ». Fluggesellschaften wollten sich heute vom Wettbewerb abheben und Flüge anbieten, die zweieinhalbmal schneller seien als die der Konkurrenz. Der Katalogpreis je Flugzeug beträgt zunächst 200 Millionen Dollar, es ist damit viel günstiger als viele kommerzielle Unterschallflugzeuge. Dabei kommt dem Projekt der technische Fortschritt zugute, etwa im Bereich von Material und Testverfahren, was vor allem für wesentlich schnellere Entwicklungszyklen sorgt. «Kohlefaser-Verbundwerkstoffe machen Überschallflugzeuge erst möglich. Die Fenster sind grösser, und der Rumpf dehnt sich durch die Reibungshitze nicht mehr so stark aus wie die Concorde aus Aluminium», erklärt Scholl. Bei den Triebwerken setzt Boom auf Bewährtes. «Wir nutzen die gleiche Technologie wie bei Unterschalljets, die Motoren sind Turbojets, wie sie auch in Marschflugkörpern eingebaut sind.» Auch das trägt dazu bei, dass Tickets 75 Prozent weniger kosten sollen als zu Concorde-Zeiten, gleichzeitig solle das Flugzeug 30 Prozent leiser sein.

Überschall und technische Herausforderungen
Die Aviatik ist als gesamte Branche überproportional im medialen Fokus, wenn es um Nachhaltigkeit und ökologische Verantwortung geht. Seit dem Neustart des Luftverkehrs im Sommer 2022 ist wieder klar, dass die Anstrengungen in diesem Bereich dringend sind. Neben Boom Supersonic will auch das Start-up «Hermeus» ab Ende dieses Jahrzehnts einen Hyperschall-Jet herausbringen. Dieser Jet soll Mach 5
erreichen können und damit nochmals mehr als doppelt so schnell wie der Jet von Boom sein. Nochmals fast doppelt so schnell will die texanische Firma «Venus Aerospace» mit dem Projekt «Stargazer» sein. Dieses Flugzeug soll angeblich sogar Mach 9 erreichen können. Um die Realisierbarkeit des Vorhabens noch etwas mehr infrage zu stellen, sollen diese Flüge sogar CO2-neutral durchführbar sein.
Der Überschallflug ist historisch gesehen nicht nachhaltig und ökologisch vertretbar. Der Treibstoffverbrauch der Concorde betrug rund 20 Tonnen Kerosin pro Stunde. Damit ist der Verbrauch ungefähr doppelt so gross wie bei der technologisch in einer ähnlichen Zeit entwickelten und im Einsatz gestandenen Boeing 747-400. Da die Concorde nur ein Viertel der Passagiere des Jumbo-Jets transportieren kann, ist der Treibstoffverbrauch pro Passagier sogar achtmal so hoch. Wenn man jedoch wieder die halb so lange Flugzeit einbezieht, ist die Concorde nur noch viermal so schlecht wie die Boeing 747.
Auch wenn moderne Jets durch den technologischen Fortschritt immer sparsamer werden, sind beim Flug im Bereich oder jenseits der Schallmauer aerodynamische Limiten vorhanden. Der Luftwiderstand wächst im Quadrat mit der Zunahme der Geschwindigkeit. Verdoppelt sich die Geschwindigkeit, vervierfacht sich der Luftwiderstand. Zur Berechnung der Leistung (P) wird in der Mechanik die Kraft (F) mit der Geschwindigkeit (v) multipliziert (P = F • v). Eine doppelte Geschwindigkeit führt also zu einem achtmal so hohen Leistungsbedarf! Der Widerstand ist in der Nähe der Schallgeschwindigkeit am höchsten. Mit dem Durchbrechen der Schallmauer nimmt dieser wieder ab. Allerdings bleibt er bei Geschwindigkeiten jenseits von Mach 1 höher als bei Geschwindigkeiten unter Mach 1. Im hohen Überschallbereich kommt es zu einer Druckwellenbildung. Moderne Konzepte des Überschallflugs versuchen diese Wellenbildung zur Widerstandsreduktion zu nutzen. Bildlich gesprochen ist es das Ziel, dass die Flugzeuge auf diesen Wellen «reiten». Die entstehenden Druckwellen sollen zur Auftriebserzeugung genutzt werden. In Fachkreisen wird dies Kompressionsauf-trieb genannt. Da dieser jedoch die klassische Auftriebserzeugung verringert, wird der beim Auftrieb entstehende induzierte Widerstand auch reduziert. Bei guter Umsetzung ist eine Reduktion des induzierten Widerstands um bis zu 30 Prozent möglich.
Neben den aerodynamischen Fragen gibt es noch Fragen betreffend der Antriebstechnologie. Für solch hohe Geschwindigkeiten ist ein sogenanntes Staustrahltriebwerk («Ramjet») interessant. Dieses Triebwerk ist daher im Fokus, da es für die Verdichtung der Luft im Gegensatz zu konventionellen Triebwerken ohne bewegliche Teile auskommt. Die Luft wird allein durch die Anströmgeschwindigkeit in der Brennkammer verdichtet. Da für diese Art der Verdichtung eine gewisse Geschwindigkeit nötig ist, muss eine Kombination von Antriebstechnologien ins Auge gefasst werden. Diese Kombination reduziert wiederum stark die Effizienz insgesamt. Eine weitere technische Herausforderung ergibt sich für Staustrahltriebwerke im Überschallbereich, dass es beim Triebwerkseintritt durch die Verdichtung zu hohen Temperaturanstiegen kommt. Dieser Temperaturanstieg führt zu einer Ineffizienz, da sich die Eintritts- der Austrittstemperaturen annähern.

Je schneller, desto grüner?
Dieser Ineffizienz kann durch eine komplexe Verbrennung des Treibstoff-Luft-Gemischs in einer Strömung im Überschall begegnet werden. Dies wird als Supersonic Combustion Ramjet oder kürzer «Scramjet» bezeichnet. Scramjets haben im Bereich von Mach 3 bis Mach 5 die höchste Effizienz. Die Nutzung von Wasserstoff anstelle von Kerosin ist in der Theorie problemlos möglich. Durch die so erzielte Effizienzsteigerung in Verbindung mit einer noch höheren Geschwindigkeit und der daraus resultierenden kürzeren Flugzeit ist ein gewisses Potenzial für einen nachhaltigen Überschallluftverkehr gegeben.
Grundsätzlich lässt sich aber sagen, dass der Überschallflug unabhängig von Effizienzsteigerungen sehr viel Energie benötigt. Die grundsätzlichen umweltpolitischen Herausforderungen der konventionellen Luftfahrt betreffen auch mindestens im gleichen Masse eine hypothetische Neuaufnahme der zivilen Überschallluftfahrt. Im Gegensatz zu den zur Generation Concorde gehörenden Überschallflugzeugen gibt es heute dank grosser technischer Finessen und Entwicklungsaufwand die Möglichkeit, den Überschallflug verhältnismässig effizient zu gestalten. Aber selbst dann bleibt der Energie- und Leistungsaufwand deutlich höher als beim konventionellen Unterschallflug. Entscheidend bleiben am Ende also auch beim Überschallflug wie beim Unterschallflug, die eingesetzten Treibstoffe und deren Emissionsbilanz. Ein mit grünem Wasserstoff betriebener Scramjet-Wellenreiter könnte eine Möglichkeit zum nachhaltigen Überschallflug darstellen. Aber auch hierfür stellt sich die Frage nach der Herstellung grosser Mengen grünen Wasserstoffs. Boom plant nach eigenen Angaben anstelle von grünem Wasserstoff den Einsatz von Sustainable Aviation Fuels (SAF). Durch die hohen Kosten bei deren Herstellung und durch den hohen Verbrauch stellt auch dieser Einsatz ähnlich hohe Hürden dar, wie der Einsatz von grünem Wasserstoff. Der Triebwerkshersteller Rolls Royce äusserte sich offen sehr kritisch und liess vermelden, «dass der Markt für Überschalltriebwerke für die kommerzielle Luftfahrt derzeit keine Priorität» habe.
Schlussendlich bleibt es spannend, ob sich genug Investi-tionsmittel finden lassen, um den nachhaltigen, kommerziellen Überschallflug zu realisieren. Die Concorde war bei ihrer Vorstellung vor rund 60 Jahren auch nicht frei von Kritik. Nachhaltig war sie während ihres Betriebs nie. Das wird sich für einen potenziellen Nachfolger ändern müssen.